KUNST@WERK
GRAZ 00-00-2023
In Progress




Symposium
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Demokratie + Kunst
Projekt
Überlegungen
Vor dem Hintergrund demokratischer Soll- und Istzustände plant KUNST@WERK die Entwicklung und Präsentation künstlerischer Projekte sowie die Auseinandersetzung mit Kunst, Demokratie (und Kapitalismus) als interdependente Einflussgrößen. Neben theoretischen Exkursen und Beispielen der Thematisierung in Installationen, Objekten, Projekten (primär bildnerischer Art), wäre es ein übergeordnetes Ziel des Vorhabens, die Arbeit an Kunst (auch anhand von Installationen, Objekten, Projekten … als im demokratischen, demokratiepolitischen Selbstverständnis verortete und damit strukturell verquickte Wirkungsweise deutlich werden zu lassen. Kunst als ein Interesse des Öffentlichen, in dem Demokratie sich organisiert und prosperiert ...
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Heimo Ranzenbacher
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SYMPOSIUM
Intentionen
Kunst, Kunstleben und die ihnen heute gemeinsame Kultur wären ohne Demokratie als grundlegendes Betriebssystem nicht denkbar. In Demokratie hat Kunst eine ihrer maßgeblichsten Existenzbedingungen. Wenn Kunst im Kontext von Demokratie beleuchtet wird (und aufscheint), dann sowohl als Indikator für Demokratie wie auch – etwa unter Berufung auf Ernst Cassirer – als operatives Projekt der Demokratisierung. Diese Interdependenz gilt es einerseits argumentativ so zu belegen, dass sie als intersubjektiv verbindlicher Topos in den wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Gestaltungsprozessen „automatisch“ Berücksichtigung finden könnte. Andererseits erwachsen der Kunst aus ihrem Anspruch auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Teilhabe Pflichten. Jene, dem Projekt der Demokratie auf ihre Weisen Vorschub zu leisten, ist dabei vermutlich nur die erste.
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Beobachtungen.Überlegungen
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Mehr denn je, gefühlt seit 2015 (Flüchtlingskrise) und verstärkt seit 2020 (Pandemie), steht „Demokratie“ zur Disposition. Künstliche Intelligenz, Fanatismus, Digitalisierung, globale Migrationsbewegungen und lokale Flüchtlingskrise, Korruption, Fanatismus, Inflation und Erderwärmung gelten als die Leitbegriffe eines vielfach beschworenen Bedrohungsszenariums. Systemisch damit verbunden steht der Kapitalismus zur Disposition, mit dem die Kritik vor allem das Anthropozän als möglicherweise finale Menschheitsära apostrophiert.
Kultur der Demokratie
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Eine mehrheitlich weitgehend geteilte Auffassung von Demokratie gründet in der Verantwortung der Bürger:innen, sie im Alltag durch Begegnung und Austausch zu tragen, zu gestalten, zu erneuern und dadurch am Leben zu halten. Das setzt einen weitgehenden Konsens über grundlegende Prinzipien voraus, die über die bloße Verfassungsordnung hinaus Zustimmung erfahren – allem voran darüber, dass es DIE Demokratie nicht gibt. Darin, dass sie stets von neuem und aus sich heraus aktualisiert werden muss, ähnelt Demokratie im Prinzip der Kultur in ihren charakteristischen Gegebenheiten, wie Walter Benjamin sie pointierte: Sie steht sowohl im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn nicht fest, sondern entsteht „aus menschlicher Aktivität […] als der provisorische und in unablässiger Bewegung begriffene Mentalitäts- und Handlungszusammenhang, als der offene Kommunikationsraum, der sie ist.“
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Denn: Neben gängigen Markern wie Mitbestimmung, Solidarität und Egalität, Freiheit zur Willens- und Meinungsbildung zugeeigneten Eigenschaften besteht Demokratie zuallererst – nicht in der bedingungslosen Volkssouveränität, von der alle Macht ausgehe, wenngleich sie dieser Idee innerlich verpflichtet ist und auf deren Verwirklichung zielt. Schon gar nicht in einer Diktatur der Mehrheit.
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Demokratie besteht zuallererst im Schutz der Schutzbedürftigen – (auch) vor der Macht der Mehrheit; besteht in der kritischen Haltung gegenüber dem Staat (die dem Staat z.B. durch die Gewaltenteilung funktional implementiert ist); und anders als eine Mehrheit, die ihre Macht aus einer ethnischen, nationalen, kulturellen, religiösen Zugehörigkeit bezieht, begründet sich das Verständnis von Demos in der Demokratie als jene Gruppe von Menschen, die sich Regeln gesetzt hat, die eine gemeinsame Praxis und gemeinsame Institutionen bestimmen. Das heißt: Demokratie zeichnet sich im Grunde dadurch aus, dass sie selbst gegen den Volkswillen gewendet stabil bleibt, mehr noch, sich durchsetzt. Etwa im Fall von Migration; da ist der liberaldemokratische Staat einer höheren ethischen Instanz (Europäischer Menschenrechtskonvention, Völkerrecht, Genfer Konvention …) als dem bloßen Volkswillen verpflichtet. Oder etwa im Fall des Unterhalts von Kunst-Einrichtungen (Theater, Museen, künstlerischen Produktions- und Distributionsstätten …). Deren „Kulturauftrag“, die eigene Agenda zu verfolgen, rangiert praktisch höher als im mehrheitlichen Wertekanon.
Parafisci
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Kurz – Demokratie erschöpft sich nicht im Gang zur Wahlurne, in Parlamentsdebatten oder in der Teilung der Gewalten. Auch der Staat – als Begriff weitgehend korrumpiert – realisiert sich nicht nur als das gesetzgebende Regulativ des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Dem demokratisch verfassten Staat inhärent ist (z.B.) der gesellschaftliche Konsens über dessen Hoheitsgewalt, aus Steuer-Einnahmen Leistungen im Sinne des Gemeinwohls zu erbringen, zu denen Private nicht imstande wären. Ermöglicht werden dadurch öffentliche Infrastrukturen, Wohlfahrt, auch Militär, Bildungs- und Kunsteinrichtungen – sogenannte Parafisci. Für die Kultur der Demokratie sind Parafisci vor allem da bedeutsam, wo sie als Einrichtungen (Plattformen, Foren, …) der bürgerlichen Öffentlichkeit fungieren: Als jene öffentlichen Orte und Räume, die die Begegnung und den Austausch der Bürgerinnen ermöglichen und zugleich Voraussetzung sind, demokratische Lebens- und Umgangsformen realiter auszuleben: Parks und öffentliche Plätze ebenso wie Bibliotheken und Museen, Galerien, Theater und Atelierhäuser, Kindergärten und Spielplätze, Jugendzentren, Schulen und Universitäten. In Summe bilden diese Räume eine demokratische Allmende, sozialen Raum zur Erfahrung der demokratischen Tugenden wie Freiheit und Rücksicht, wie Gleichheit und Inklusion, wie Bildung. In diesen Öffentlichkeiten verortet Habermas den gesellschaftlichen Austausch, das Gespräch der Gesellschaft mit sich selbst, das zwar niemals einen unstrittigen Konsens erzeugt, aber doch irgendein Maß gemeinsamer Auffassungen herstellt, das nötig ist, damit Gemeinwesen nicht kollabieren. Umgekehrt ist der argumentative Austausch nicht allein auf eine gegebene demokratische Allmende angewiesen, sondern bringt sie in ihrer Bedeutung als einen im Zusammenspiel von Staat und der Demokratie wesentlichen Zustand in praxi (auch) erst hervor. So etwa Henri Lefèbvres Anschauung, wonach (sozialer) Raum aus individuellen und kollektiven Handlungen hervorgeht, oder Hannah Arendts Vorstellung von Öffentlichem Raum als einer Öffentlichkeit, in der das Politische wie das Kulturelle sich verwirklicht.
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Kunst (im Interesse des Öffentlichen)
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Demokratie bedarf der fortwährenden Demokratisierung, darin ist sich Demokratie selbst Ziel und Instrument zugleich – wenn man so will, ein Projekt der Zukunft. Demokratisierung meint, dem Selbstverständnis einer säkularen und aufgeklärten Demokratie, den Prinzipien der Freiheit, Gleichheit, Individualität institutionell und zivilgesellschaftlich Vorschub zu leisten.
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Zu den Konditionen, unter denen dieses Projekt verfolgt werden kann, zählt – zusammen mit Bildung und Wissenschaft – die Kunst. Und Kunst braucht die Förderung durch den Staat, die Gesellschaft – nicht nur finanziell, sondern ideell und praktisch in einem rein pragmatischen Sinn und Zweck, nämlich als ein Instrument zur demokratischen Entfaltung der (demokratischen) Gesellschaft. Heißt: „unabhängig“ von Hervorbringungen in den jeweiligen Disziplinen und damit verknüpften Vorlieben oder Theorien, eignet Kunst in der Entwicklung ihrer Kultur (ihrer freien Entfaltung) eine z.B. auf die Selbstorganisation der Gesellschaft zielende instrumentelle Qualität.
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Der Kulturwissenschaftler und Geschichtsphilosoph Ernst Cassirer hat dieses „Demokratieprinzip“, dem durch Kunst gleichsam institutionell Ausdruck verliehen wird, zu einem zentralen Gegenstand seiner Überlegungen gemacht. Cassirer pointiert Demokratie und Kunst als voneinander abhängige Erkenntnisform zur Weltgestaltung. Nur die freie Weltaneignung und Weltwahrnehmung (vermittels bestimmter Kulturtechniken und Disziplinen, symbolischer Formen) könne zu einer gesellschaftlichen Pluralität führen, die wiederum Vorbedingung der Entwicklung einer politischen Kultur ist, in der sich tatsächlich die Gesellschaft und nicht eine herrschende „Elite“ abbildet. Als eine Quelle und Methode der Erkenntnis und des Verstehens – Kunst bedeute Entdeckung und Intensivierung von Wirklichkeit zugleich und sei daher Erkenntnis- und Handlungs- (Wirkungs-)Faktor – spiele Kunst also eine herausragende Rolle.
Indikator und Instrument
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Wenn wir Cassirers Verständnis von Kunst als Indikator demokratischer Verhältnisse wie als Erkenntnis- und Handlungsform übernehmen, dann auch in der Bedeutung eines Instruments bzw. eines Mittels, wenn man so will: eines Mediums oder Vektors der Demokratisierung.
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Kunst, wie sie (heute) von der forschenden Künstlerschaft betrieben wird, ist nicht von ungefähr ein Adoptivkind der Demokratie und deren staatlichen Herausbildung der Öffentlichen Hand, ein Parafisci (wie es im Buche steht; bzw. im Gabler Wirtschaftslexikon); zugegeben, ein vernachlässigtes Kind. Allein, ohne Freiheitsgarantie und finanziell zumindest bis zu dem Grad abgesichert, dass diese Freiheit sich nicht nur als zynisch proklamierter, da lebensferner Zustand, sondern als prinzipiell und realiter möglich erweist, wäre ihre Existenz völlig infrage gestellt.
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Der Staat muss sein liberaldemokratisch begründetes Versprechen und Bekenntnis zur Freiheit der Kunst in Form einer Handlungsmöglichkeit einlösen, d.h. er muss die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Freiheit dem Gegenstand einigermaßen adäquat ausgelebt werden kann. Er tut das mittels Akademien und Universitäten ebenso wie individuellen Projektsubventionen, Betriebsförderungen von Kultur- bzw. Kunstinitiativen, Produzentengalerien und -laboren oder Atelierhäusern etc. Weder Steirischer Herbst noch Ars Electronica oder das Medienkunstlabor ESC usw. würde ohne Unterstützung durch die Öffentliche Hand (in ihrer jetzigen Form) existierten.
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Umgekehrt erwächst der Kunst aus dem Status eines demokratiepolitischen Adoptivkinds zumindest die Aufgabe, innerhalb ihrer eigenen Agenda zur politischen Kultur (Demokratie) im Sinne einer Handlungs- und Lebensform beizutragen. Eine und wohl auch die wesentlichste Konsequenz daraus betrifft das Milieu, in dem Kunst sich zuletzt erst verwirklicht, nämlich die öffentliche Wahrnehmung dahingehend, dass mit Veröffentlichung – im Interesse des Öffentlichen – ihre Öffnung hin zum gesellschaftlichen Diskurs einhergehe: Nicht, weil die Gesellschaft Mitspracherecht über den Gegenstand Kunst hätte, sondern weil sie das Anrecht darauf hat, dass mit ihr (über und durch Kunst) gesprochen werde, und zwar auf eine öffentlichkeitswirksame, das heißt der Kunst als Erkenntnisform zugängliche Weise.
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So gilt im Hinblick auf Kunst speziell, was für demokratische Lebensformen allgemein gilt: Eine Demokratie, die deren Pflege vernachlässigt (oder auch eine Politik herausbildet, die Effizienz und Leistung, Controlling und Benchmarking das Wort redet), nimmt in Kauf, dass sich die kulturellen Voraussetzungen der liberalen Demokratie auflösen.
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